Notebook
Abstrakt
Ein Reisetagebuch durch Südkorea und Japan
Absicht, Anmerkung
Sommer 2008: Die zwei Choreographen Malgven Gerbes und David Brandstätter reisen, begleitet von dem Videokünstler Julien Crépieux und dem Filmsounddesigner Christoph Engelke, zwei Monate durch Südkorea und Japan. Während dieser Reise organisieren sie jeden Tag eine neue Performance in einer neuen Umgebung. In Notebook, gewähren die Künstler Einblick in ihre Reisetagebücher, sie teilen ihre Eindrücke und Reflexionen. In Bewegungen, Texten, Videos, Greräuschen und einer Choreographischen Installation aus Reis, laden sie den Betrachter ein, sie auf eine sehr persönliche Reise durch Asien zu begleiten.
MAGAZINE DANSER
„Mit aktuellen westlichen Gestaltungsmitteln reproduzieren shifts den Zusammenhalt in Leichtigkeit, den wir an asiatischen Kulturen so schätzen und öffnen einen Raum für Meditation.”
LES INROCKUPTIBLES
„Aufzeichnungen einer Reise durch Südkorea und Japan, subtil und mit Finesse übersetzt in Worte, Gesten und Geräusche.”
Original in Französisch
Künstlerisches Statement
„Die Erinnerung der Bewegung.
Die Bewegung der Erinnerung.”David Williams, 2010
Entstehungsprozess
Trotz der großen Unterschiede zwischen der japanischen und der südkoreanischen Kultur, gab es ein Element, welches sich in beiden Kulturen wiederfindet. Es ist das Augenmerk auf das Abwesende, auf die Ruhe, die Leere. Es geht darum, dem Geist einen Platz zum Atmen zu verschaffen; ein Bedürfnis, welches durch den hektischen Alltag der Menschen in diesen asiatischen Ländern zwar oft verdrängt wird, aber dennoch nicht an kultureller Wertschätzung zu verlieren scheint.
Es geht um das Andeuten, nicht um das Aussprechen der Dinge. Wie lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Dinge ohne die Dinge selbst hervorzuheben? Diese Frage wurde zum Schlüssel für das Stück: Es geht um Wahrnehmung durch Assoziation. Wenn man sich durch assoziative, nicht begriffliche Wahrnehmung einer Kultur nähert, birgt das die Chance des Verständnisses, weil es viele Dinge offen lässt. Hier ist Leere eben doch Freiheit. Es ging also darum der Leere ihren Raum zu schaffen, ihr einen Rahmen zu geben.
Notebook ist eine Gratwanderung zwischen dem vermeiden von Klischees und der Notwendigkeit des Herausarbeitens des als typisch Empfundenen. Während der gesamten Arbeit an Notebook haben uns zwei Fragen begleitet. Zum einen im Bezug auf das Kulturelle: Wie wollen wir das Material selektieren, ohne dabei fahrlässig zu werden und wichtige uns möglicherweise unbekannte Zusammenhänge zu übergehen? Zum anderen im Bezug auf das Persönliche: In wie weit sind unsere persönlichen Erfahrungen für andere interessant? Wo finden unsere Beobachtungen allgemeine Gültigkeit? Anhand dieser Fragen entstand das Bedürfnis, das Augenmerk auf die Veränderung der eigenen Wahrnehmung durch die Begegnung mit einer anderen Kultur zu richten. Das Stück „Notebook“ ist kein Portrait der japanischen oder der südkoreanischen Kultur. Es ist eine künstlerische Reflexion des dort Erlebten, ein medienübergreifender Dialog über die individuelle Begegnung mit der asiatischen Welt.
Presse
Tanznetz
„Sie lässt einen zur Ruhe kommen, diese Aufführung von „Notebook“ bei DANCE im schwere reiter. Man darf sich auf das jeweils eine, einzelne und dann das nächste konzentrieren: anschauen, hören, wahrnehmen. Etwas, was man zumeist nicht oft, bewusst oder gar durchgängig im Alltag tut. Wer kommt da schon auf den Gedanken zu fragen, wie sich ein Haar anhört, das sich vom Kopf löst? Oder ob die Erinnerung an ein Geräusch das Geräusch der Erinnerung ist? In der technologisierten Wohlstandsgesellschaft ist Multitasking das dominierende Markenzeichen der Kultur, die sich die Aufgabe gestellt hat, eine Vielzahl von Aufgaben zu erinnern und zu bewältigen. Der Choreograph David Brandstätter hingegen schiebt mit einem großen Besen einen Haufen Reiskörner über den schwarzen Tanzteppich und kreiert mit ihnen akkurate Linien, Winkel und Kanten. Ein Gegenentwurf, möglicherweise, wenn man so will. Räume entstehen, Grenzen und Durchgänge, Bahnen und Schienen, ein Zen-Garten. Die Assoziationen bleiben beim Betrachter. Kaum bedienen Brandstätter und seine Partnerin, die Architektin, Tänzerin und Choreografin Malgven Gerbes, die entstandenen Freiräume, in dem sie durch Aktionen, Handlungen oder Gesten die Leerstellen mit einer Bedeutung füllen würden. So durchgängig wie möglich spielen sie die performative Funktion der Aufführung aus und schubsen ihren Betrachter hinein in eine Wahrnehmungsordnung der reinen Anschauung. In einem großen Moment in der zweiten Hälfte des Abends findet dieses Interesse eine Versinnbildlichung. Gerbes sitzt mit dem Rücken zum Publikum vor der großen Wand und betrachtet, wie die Zuschauer, die meterhoch projizierten Filmbilder, die Julien Crépieux in Asien aufgenommen und in unregelmäßigem Rhythmus zusammengeschnitten hat und die mit Sounds unterlegt sind: eine still da liegende Straße, auf der ein kleiner Hund schnurgerade entlang tapst. Ein Meer aus wogenden Baumwipfeln. Ein Fahrradfahrer, der einem entgegenkommt. Ein See. Gerbes wird Teil der Bilder und ist, was sie ist. Eine sitzende Frau, deren Bild im Bild kurz die Illusion eines Zeitsprungs weckt. Zwei Monate ist sie gemeinsam mit Brandstätter durch Südkorea und Japan gereist, dabei waren auch der Installations- und Videokünstler Julien Crépieux und der Sound Designer Christoph Engelke. Insgesamt haben sie in den vergangenen Jahren ein Jahr dort verbracht, sich hineinbegeben in andere Gerüche, Sounds, Töne, Menschengruppen – kurzum: in eine Vielzahl anderer Kulturen. Dort sind sie dann zu Sammlern geworden: Von Gesten, Bewegungen, Dingen und Tätigkeiten, die sie in ihre eigene Bewegungskultur überführt haben, ohne sie zu verfremden oder zu bearbeiten. Sie wollten herausfinden, schreiben sie in dem umfangreichen Begleitmaterial, wie und wodurch Kultur wirkt, wie sie unsere Begriffe prägt. Ihr performatives Konzept haben sie dann dem völlig anderen Verständnis von Wahrnehmung, Mitteilung, Leere und Fülle im asiatischen Denken entnommen und konsequent umgesetzt. Das macht den Zeitgeist ihres unabgeschlossenen Aufführungswerks aus, das sie als work in progress auffassen und letztlich sich daran versucht, Kunst alleinig als Ort von Wahrnehmung von weltlich Seiendem zu behaupten.
Auf der Bühne wechseln sie sich ab. So ruhig wie Brandstätter den Besen führt oder später auf nahezu virtuose Weise mit demselben Besen auf einer Reiskörnerschiene schnell dahinpreschend einen fahrenden Zug modelliert, der durchs Land fährt, fasziniert Gerbes in ihren Soloparts als Gesten- und Bewegungskalligrafin, die im Wahrnehmungsraum des Betrachters eine Fülle an Details aus einer anderen Welt herzustellen und wieder zu vergehen vermag. So kreiert man in seiner Phantasie ein eigenes „Notebook“.
Es ist ein faszinierender und großartiger Abend, den das Münchner Publikum verstanden haben muss.”
Alexandra Karabelas
Team
PROJEKT, CHOREOGRAFIE Malgven Gerbes, David Brandstätter | VIDEO Julien Crépieux | MUSIK Christoph Engelke | LICHT Jens Siewert | DRAMATURGISCHE BERATUNG David Williams | TOURING Alix Pellet, Clémence Rey | PRODUKTION s h i f t s – art in movement | KOPRODUKTION fabrik Potsdam: Artists-in-Residence, Session House Tokyo | MIT DER UNTERSTÜTZUNG VON Bezirksamt Berlin Schöneberg, Institut Français Séoul, Korean National University of Arts Séoul, Tanzfabrik Uferstudios Berlin | EINIGE PERFORMANCES WURDEN UNTERSTÜTZT VON l’ODIA Normandie - Artistic Development Office of Normandy; le NPN Nationales Performance Netz; le Goethe Institut; l'Alliance française; le Fonds Franco-Allemand
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